Im Badischen

Wilfrid Perraudin – Am Bodensee

Wilfrid Perraudin – Am Bodensee
1999 – 80x100 cm – Ölfarbe auf Leinwand
Ref.-Nr. 1826 (Im Nachlass)

DIE LANDSCHAFTEN DES WILFRID PERRAUDIN

Von Pater Peter Mayr OP
(aus dem Katalog zur Ausstellung im Schwarzen Kloster, Freiburg 1987)

Es sind wirklich seine Landschaften. Nicht Abbilder, nicht Abklatsch, hereingeholt aus der sogenannten Wirklichkeit, sondern eigenes Werk, Kunst-Werk, geschaffen als neue eigene Wirklichkeit. Seine Landschaften »gibt es« nicht, und trotzdem oder gerade deswegen sind sie sichtbarere, deutlichere Realität – seine Realität.

Die alte, gleiche, aber immer wieder neu erzeugte und deswegen stets faszinierende Spannung zwischen dem Künstler und seinen Gegen-Ständen: das »Außen« der Realität wird zum »Innen« des Künstlers und dies wiederum zum »Außen« des Werkes, und damit beginnt ein neuer Prozeß zwischen »Außen« und »Innen«, zwischen Werk und Interpret. C. F. von Weizsäcker schreibt: »Ich schlage die Ansicht vor, daß die Worte ,real' und ,Realität' sinnlose Vokabeln sind. Realität, von der wir wissen können, ist Realität für uns, und Realität, von der wir nicht wissen können, kommt per definitionem in unserem Wissen nicht vor.« Der Naturwissenschaftler deutet hier an, was für den Künstler grundlegende Voraussetzung ist, was er bewahren und erhalten muß, um überhaupt arbeiten zu können. Das gilt sicher für jeden Künstler, aber die Kreativität eines Künstlers weist sich darin aus, wie weit diese Fähigkeit geht, eigene Realität zu schaffen, wie weit in dieser Realität seine eigene Handschrift deutlich wird.

Perraudins Landschaftsbilder sind keine Abbildungen der Natur. Das Sujet wird »benutzt«. Die Landschaft wird aufgelöst in Farbblöcke, in Teile, die zueinander in Beziehung gesetzt werden, Teile der Landschaft – wie Gegenstände aufeinander bezogen, im Gespräch miteinander oder schweigend nebeneinander. Auch dort, wo dieses Nebeneinander bei seinen Landschaftsbildern nicht deutlich wird, wo sich nur aus Farbwirbeln Konturen in einer sehr starken Abstraktion andeuten, ist das Stillebenhafte zu ahnen.

Die Abstraktion in diesen Bildern Perraudins geht Hand in Hand mit seiner Fähigkeit, plastisch werden zu können, auf der Leinwand Strukturen zu modellieren. Die Natur wird zu seinem Werkstoff, er geht mit ihr um, er formt das, was er sieht. Verdichtete Landschaft wird es darum, zusammengezogen auf die kleine Fläche einer Leinwand. Nicht filigran, nicht ziseliert, sondern kompakt. Landschaftsblöcke sind auf die Leinwand gemalt, Farbblöcke stehen nebeneinander. Meist sind die Konturen klar und präzise, doch gelegentlich fließen die Bild-Gedanken mit weichen Übergängen ineinander. Starke Farben, nichts Verwaschenes. Die Landschaft ist nicht Idylle bei ihm, auch nicht Bedrohung, sie ist klar und einfach – sie könnte Heimat sein. Manchmal scheint es, als würde sich die Farbe vom Gegenstand abheben, sich lösen, sich verselbständigen. Dennoch bleibt sie wesentlicher Bestandteil seiner Bilder, ist neben der Dramatik von Linien und Flächen ein Urelement der Aussagekraft, der mächtigen Fähigkeit, Empfindungen zu übertragen.

Überhaupt spielt die Farbe eine Schlüsselrolle als »neue Realität«: Indirekte Komplementärfarben, ein violettes Grau einem orange getönten Braun gegenübergestellt, das erzeugt Farbschwingungen besonderer Art. Auch die Schatten sind nur Kompositions- und Stimmungselement, mal werden sie stark betont, mal ganz weggelassen, mal widersetzen sie sich dem Naturgesetz von Licht und Schatten. Die Farben Perraudins: es gibt sie nicht »in Wirklichkeit«. Neue, raffinierte, erstaunliche und für manche vielleicht erschreckende Farben – es sind seine Farben, die Farben seines Kunst-Werkes, und deshalb zwingen sie den Betrachter stärker in den Bann als das Abbild einer vorgegebenen Realität. Das Kunstwerk wird in der Farbe und auch in der Linie, in der Form, eben als ganzes eine neue Realität, eine eigene Wirklichkeit. Und die Frage bleibt und kann immer wieder neu gestellt werden: Was ist realer, die »Realität« oder die Imagination? Was stellen die Felsen, Felder, Bäume, Lößwände, Wege dar? Eine Reihung von Details in einem Bild, nachgezeichnet und nachempfunden, oder vielmehr die großen Versatzstücke der Inszenierung »Natur«?

Es wird verdichtet, abstrahiert, vereinfacht. Die Vereinfachung des Ganzen, die Vereinfachung der Details, eine von Perraudins besonderen Stärken. Vereinfachung nicht etwa als bloße Reduzierung oder gar Vereinheitlichung, keine Verarmung, sondern das geschaffene Kunst-Werk als Ausdruck des Wesentlichen. Hier wird dargestellt, was Landschaft eigentlich ausmacht: der Betrachter wird nicht verleitet, sich ins Detail zu verlieren, er braucht sich nicht bei Einzelheiten aufzuhalten. Vielmehr führt die Reduzierung zur Verdeutlichung, schafft eine Ganzheit, die nicht nur gesehen, sondern erlebt werden kann. Wenn es den Anschein hat, daß Perraudin in seinen jüngeren Landschaftsbildern wieder mehr zum Detail zurückkehrt, so täuscht der erste Blick. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich, da diese aufscheinenden Details in ihrer Abstraktheit so in das Bildgeschehen eingebunden sind, daß sie Bestandteil dessen werden, was die Souveränität der Einfachheit ausmacht. Sie fallen nicht heraus, sie binden, führen wie Wegweiser zum Kern des Bildes.

Perraudins Stärke lag von Anfang an in der Beherrschung der klaren Linien, der großen Flächen und vor allem der kraftvollen, herausragenden Farbblöcke. Durch diese gekonnte Kombination sind seine Bilder zu gemalten Landschaftsskulpturen geworden. Es sind kraftvolle Bilder, aber gleichzeitig auch Bilder der Ruhe und der Meditation, der Stille und Gelassenheit. Die Botschaft heißt nicht: So sind Landschaften, solche Landschaften gibt es; die Botschaft lautet: so wirkt Landschaft, so wirkt und atmet ein Feld, ein Lößweg, ein Baum, das Meer, die Weite.

Nicht Bilder zum einfachen Anschauen. Bilder vielmehr, die be-an-spruchen, die beanspruchen im eigentlichen Sinne dieses Wortes: sie wollen eine Antwort, fordern zum Dialog, zur Gemeinsamkeit, man kann mit ihnen Freundschaft schließen, und man kann sie lieben.