BIOGRAFIE

Wilfrid Perraudin - Maler und Kirchenkünstler

Wilfrid Perraudin wurde am 3. Dezember 1912 in Moulins-Engilbert im Burgund geboren. Zwei Jahre später zog seine Familie in den Pariser Vorort Neuilly-sur-Seine, wo Wilfrid seine Kindheit und Jugend verbrachte.

Schon als kleiner Junge traten seine Interessen klar zutage: Zum einen faszinierte ihn die Biologie, insbesondere die Welt der Insekten, zum andern zeichnete und malte er leidenschaftlich gern, wobei er ein erstaunliches Talent zeigte.

Nach Abschluss des Collège wurde er mit 14 Jahren als jüngster Student in die Académie Nationale Supérieure des Arts Décoratifs aufgenommen, wo er 3 Jahre lang studierte. Raoul Dufy war auf ihn aufmerksam geworden und machte ihm das Angebot, ihn im Anschluss kostenfrei als Privatschüler in sein Atelier aufzunehmen, was Wilfrid begeistert annahm. In den folgenden zwei Jahren lernte er durch seinen Lehrer künstlerische Strömungen wie den Fauvismus kennen, für Wilfrid nach der eher konservativ-akademischen Ausbildung an der Akademie ein aufregendes Neuland. Allmählich entstand eine enge Zusammenarbeit, bei der Raoul Dufy, sein Bruder Jean Dufy und Wilfrid sowohl als Team als auch mit jeweils eigenen Kreationen an der Gestaltung von Stoffmustern und Drucken für das Textilatelier Bianchini-Férier arbeiteten.

Nach diesen intensiven Lehrjahren packte den 20-jährigen Wilfrid das Fernweh und die Abenteuerlust. Da er auf keinen Fall seine anstehende Wehrpflicht in Frankreich absolvieren wollte, es ihn dagegen sehr in den Nahen Osten zog, meldete er sich für den Dienst im damaligen französischen Völkerbundmandat. So gelangte er nach Syrien und in den Libanon. Wie er später in einem autobiographischem Bericht schrieb, verbrachte er dort, obwohl ihm alles Militärische widerstrebte, eine wunderbar unbeschwerte Zeit, die ihm eher wie ein Abenteuerurlaub vorkam, bei dem er das Land kennen und lieben lernte. Dank seines künstlerischen Talents wurde das Soldatendasein zu einer Randerscheinung. Ihm wurde aufgetragen, das Offizierskasino mit Wandmalereien zu schmücken und anatomisch-medizinische Zeichnungen für das Militärhospital in Damaskus anzufertigen. Da die Landkarten des Djébel Druze unzureichend waren, bekam er den Auftrag, die Kartografie zu vervollständigen. So war er monatelang mit Vermessungsgerät im Taxi auf Reise, begleitet von einem syrischen Helfer, der ihm arabisch beibrachte, auch viele arabische Lieder, die mein Vater bis ins hohe Alter gern vortrug. Seine Dienstzeit verlängerte er noch einige Monate, da er im Serail von As-Suwaida den Konferenzsaal neu gestalten durfte, unter anderem mit Bleiverglasungen. Damals ahnte er nicht, dass er damit sein späteres künstlerisches Wirken vorwegnahm.

Zurück in Frankreich verspürte Wilfrid den Wunsch, sein Studium fortzusetzen. Er schrieb sich in die École nationale supérieure des Beaux-Arts ein, wurde Meisterschüler von Jean Souverbie und belegte zusätzlich Kurse an der ENSAD, um sich in Grafik weiterzubilden. Von der Kunst zu leben, erwies sich während und auch nach der Studienzeit als unerwartet schwierig. Mit unterschiedlichen Jobs, mal als Honigverkäufer, mal als Lastenträger an der Gare du Nord, verdiente er sich das Nötigste, um zu überleben und sich seine Malutensilien leisten zu können. Als dieses Leben auf Dauer zu zermürbend wurde, nahm er eine Festanstellung als Zeichner und Präparator am Phytopathologischen Institut in Versailles an.

Inzwischen war die Stimmung in Frankreich äußerst angespannt. Als Vorkehrung gegen einen befürchteten deutschen Angriff wurden junge Männer mit bestimmten Fachkompetenzen für militärisch wichtige Industriezweige verpflichtet. 1940 wurde Wilfrid als technischer Zeichner zu dem Flugzeugwerk SNCASO – Avions Marcel Bloch befohlen.

Nun geht die Biografie bebildert an anderer Stelle weiter:
Wir klicken im Menü auf das Kapitel "Rückblick", wo man den Text "Zweiter Weltkrieg" lesen kann, und danach den Text zu "Paris".
Anschließend sehen wir uns wieder hier ...

Zeitsprung wieder zurück ins Jahr 1952:
Wilfrid bekommt unerwartete Post. In Freiburg im Breisgau wird für das französische Lycée Turenne kurzfristig und für voraussichtlich ein Jahr die Stelle eines Kunsterziehers ausgeschrieben. Meine Eltern reagieren sofort, und es klappt. Wenige Wochen später sind wir in Deutschland, vorerst nur befristet, doch Freiburg wird unsere neue Heimat werden. Schon kurz nach dem Umzug stellt sich ein neues Familienmitglied vor: Luc kommt zur Welt, ich bin 5 Jahre alt und freue mich, nun einen Bruder zu haben.

Wilfrid arbeitet sich rasch in den neuen Beruf des Kunstlehrers ein. Bei den Schülern ist er ausgesprochen beliebt. Auch Jahrzehnte später wird er Post von ehemaligen Schülern und Schülerinnen bekommen, in den Internetforen wird kaum ein Lehrer häufiger und so voller Bewunderung erwähnt werden, einige werden ihn, aus Frankreich kommend, in Freiburg und später auf Mallorca besuchen und jetzt, wie man den Foren entnimmt, ihm an seinem Grab in Freiburg einen letzten Gruß hinterlassen.
Oft beklagte sich Wilfrid, dass ihm die Schule zu wenig Zeit für die eigene künstlerische Entfaltung lasse. Dies mag sicherlich zutreffen, dennoch war er ein Lehrer, der seine Arbeit mit Leidenschaft anging und dem die Anerkennung und Zuneigung seiner Schüler viel positive Energie gab.

1955 hat Wilfrid Perraudin seine erste große Einzelausstellung im Suermondt-Museum, Aachen. Gefördert durch Dr. Gombert, damaliger Direktor der Freiburger Städtischen Museen, erfolgten erste öffentliche Bildankäufe.
Mehrere Einzelausstellungen werden folgen, in Freiburg unter anderem in der Stadthalle (1956), im Augustinermuseum (1983) und im Schwarzen Kloster (1987), in Bad Krotzingen (1970), Pliezhausen (1986), Kirchheim-Teck (1987), Guildford/England (1989), in der Zentrale der Deutschen Bank in Frankfurt/Main (1993), in Schloss Bonndorf (1998), im Palais Ducal von Nevers/Frankreich (2002) und in Palma de Mallorca (2006).

Ausgelöst durch die Ausstellung »Sakrale Kunst der Gegenwart in Frankreich«, die 1960 in der Kunsthalle Baden-Baden stattfindet und in der Wilfrid mit zwei freien Entwürfen große Beachtung findet, erhält er Aufträge für die Gestaltung von Kunstverglasungen, Lichtwänden und Mosaiken in zahlreichen Kirchen und öffentlichen Gebäuden Nord- und Süddeutschlands. Mit über dreißig von ihm gestalteten Kirchen gilt er als einer der bedeutenden Repräsentanten zeitgenössischer Kirchenkunst der Nachkriegszeit in Deutschland. Bekannt geworden ist er vor allem durch seine Lichtwände.
Zu den wichtigsten Arbeiten gehört das monumentale Betonglasfenster in der Kirche St. Peter in Lörrach (1965) - mit 220 qm eines der weltweit größten Kirchenfenster, wie auch die Glaswände der Kirchen in Hinterzarten (1963) und St. Heinrich in Dortmund (1967). Auch entwarf er zahlreiche Bleiverglasungen, so z.B. die Fenster von St. Gallus in Hugstetten (1968) und von St. Josef in Hamm/Westfalen (1978). Ebenso eindrucksvoll sind seine großen Mosaikchorwände wie in den Klosterkirchen von Hegne am Bodensee (1963) und Bühl im Schwarzwald (1980).
Hildegard und Wilfrid bilden ein perfektes Team. Sie kümmert sich um alles Geschäftliche und Organisatorische und arbeitet sich zudem in die kunsthistorischen und theologischen Wissensgebiete ein, was Wilfrids Entwurfsgestaltungen sehr zugute kommt.
Einen knappen Einblick in diese Schaffensperiode gibt das Kapitel "Kirchenkunst" dieser Webseite, eine ausführlichere Zusammenstellung die von meinem Bruder gestaltete Homepage Wilfrid Perraudin – Kirchenkunst.

1978 wird Wilfrid pensioniert. Nun kann er sich, neben einigen Kirchenkunst-Aufträgen, voll und ganz der bildenden Kunst widmen. Er mietet sich, gemeinsam mit seinem Künstlerkollegen Rainer Dorwarth, ein Atelier. In den folgenden Jahren ist er außerordentlich produktiv. Hildegard mit ihrem Kunstverstand, ihrer fundierten Kritik und ihren inspirierenden Anregungen ist ihm eine ideale Partnerin.

Hildegards Tod im März 1991 setzt Wilfrid so sehr zu, dass wir beschließen, ihn in seinem Schmerz und seiner Einsamkeit nicht allein zu lassen, sondern ihn bei uns in Berlin aufzunehmen. Wir besichtigen viele Orte in Berlin und im Umland, die für ihn mit Erinnerungen und starken Emotionen verbunden sind. Allmählich lichtet sich seine Depression, er fängt wieder an zu zeichnen und Bilder zu entwerfen.

Einige Monate später besucht uns seine ebenfalls verwitwete Schwägerin Irene. Sie macht ihm das Angebot, in ihr Haus nach Marburg zu kommen und auch ihr Ferienhaus auf Mallorca nutzen zu können. Wilfrid nimmt dankbar an, zieht nach Marburg um, aber Mallorca begeistert ihn so sehr, dass er fortan fast nur noch dort lebt. In seinem kleinen Atelier, das er sich in der hierfür provisorisch umgebauten Veranda des Hauses eingerichtet hat, arbeitet er 14 Jahre lang mit Freude und unermüdlichem Schaffensdrang. Bei seinen regelmäßigen Morgenspaziergängen entlang des Strands bis zum Fischerhafen von Cala Rajada genießt er den Sonnenaufgang, trinkt mit befreundeten Fischern einen ersten Kaffee, macht sich auf Zetteln kleine Skizzen und Notizen, mit denen er entwirft, was er tagsüber im Atelier realisieren will.

Am 25. Mai 2006, er ist nun 93 Jahre alt, begleite ich meinen Vater in den Tod. 14 Tage zuvor hatten wir noch in Palma de Mallorca die Vernissage seiner Ausstellung gefeiert, bei der er voller Lebensfreude die Arbeiten der letzten Jahre vorstellte.

Entsprechend seinem Wunsch wurde Wilfrid in Freiburg im Gemeinschaftsgrab mit Hildegard bestattet.

(R.P.)