Anderswo

Wilfrid Perraudin – Weiden im Moor

Wilfrid Perraudin – Weiden im Moor
1984 – 100x153 cm – Ölfarbe auf Leinwand
Ref.-Nr. 2866 (Im Nachlass)

KLARHEIT, DIE VERDICHTET

Hans Dieter Werner im Reutlinger Generalanzeiger vom 5. April 1986 anlässlich der Ausstellung in Pliezhausen

In seinen Bildern fühlt man sich wohl. Von ihnen geht eine Klarheit aus, die vereinfacht und wegläßt, reduziert und abstrahiert und dadurch umso sinnfälliger wird. Wilfrid Perraudin, der 1912 in Burgund geborene Franzose, der seit über 3O Jahren in Freiburg lebt, ist ein Meister der Sparsamkeit. Er malt sozusagen nur in Hauptsätzen. Die großen und mittleren Formate, die er bevorzugt, variieren alle das elementare Dreigestirn von Fläche, Linie und Farbe.

Perraudins Flächen atmen Gelassenheit und Ruhe aus. Sie  gleichen dem sicheren Standort dessen, der mit der Erde verwurzelt ist und den Himmel fest gewölbt über sich weiß. Aber sie besitzen auch oft eine gespannte Ruhe, in der chthonische Kräfte verborgen sind, die zum einem durch die Dynamik der Farbe und des Farbauftrags, zum andern aber – fast noch eindringlicher – durch ein prägnantes formales Konzept gestaltet werden. So ergibt sich etwa in dem ruhigen Aufbau des Bildes »Felder in der Freiburger Bucht« mit seiner Tiefenstaffelung der Farbflächen die Bewegungs-Energie dieser Landschaft allein aus den beiden versetzten Diagonalen, die aufeinander zu stürzen und sich erst außerhalb des Bildes schneiden. Womit die dynamisierende und die ordnende Rolle der Linie bei Wilfrid Perraudin angesprochen ist. In einer Reihe von Bildern dominiert sie als klare Gerade, sozusagen als Rückgrat einer weisen Einfachheit. Solche Bilder wie die »Obere Provence« wirken dann fast geometrisch aufgebaut, bedürfen  kaum der Perspektive, ruhen wundersam deutlich in sich selbst. Sind das Gerüst und in dieser verdichtenden Vereinfachung zugleich auch die Personifikation, der numinose Raum einer Landschaft.

Zur Linienkraft Perraudins gehören die blitzartigen Diagonalstürze wie im »Weg mit Birke« oder wie in der »Bretagne«, einem Bild, dessen Metaphern in vielen anderen Arbeiten  wiederkehren: der dunkle, bewegte Himmel, das weiß gekalkte, die Horizontale betonende Haus mit rotem Dachakzent, darunter die Bewegung, ja der Strom großer Farbflächen. Ruhe und kinetische Energie in einem. Ein Bild ohne den Menschen und doch ein Gleichnis für seine behauste, schmale Existenz zwischen Himmel und Erde.

Dramatik von Linie und Fläche erfüllt den »Lößweg«, die reine lineare Statik von Senkrechter und Waagrechter den »Holzschlag«; Linie und Fläche, auf sich selbst zurückgenommen, geben den Bootsstilleben eine fast andachtsvolle Würde. Die Zahl drei spielt bei diesen Stilleben am Wasser mit der uralten Chiffre des Bootes als dem Lebensfahrzeug des Menschen eine besondere Rolle.

Die Linie schwingt sich in manchen Bildern auch zur lebhaften Kurve und zur Kreisform wie im »Winter im Schwarzwald« oder zur Wellenform wie im Bild »En Champagne«. Die Farbe ist für Wilfrid Perraudin das zwischen Linie und Fläche Vermittelnde und sie Belebende. Seine Farben sind voller Licht und Weite. Auch hier bleibt dieser Maler klar und offen. Er liebt die tonigen Akkorde, kontrastiert oft nur indirekt und »entdeckt« die Farbe gewissermaßen als autonome Landschaft und als Lichtraum. Was sich nicht allein in der Sympathie für ein durchsonntes Strohgelb niederschlägt, sondern – wie im »Rhônetal« zum Beispiel – auch in einer stillen Transparenz, die in dieser Landschaft Zärtlichkeit aufspürt. Alles ist verkürzt und entdinglicht, Bäume stehen wie runenhafte Farbblöcke da: und doch schwingt in diesem einfachen Bild eine Grazie der Belichtung mit, die nur einer gesehen haben kann, der mehr wahrnimmt als das, was ist.